Atheismus und Moral


In diesem Artikel werde ich versuchen, zwei verschiedene Fragen zu beantworten. Die erste ist, wie man Moral ohne Religion definieren kann, und die zweite: inwiefern kann man ohne Religion moralisch sein.

In manchen Religionen werden die „heiligen“ Schriften als die absolute Definition der Moral betrachtet. Es sei dem Mensch unmöglich, ohne Bezug zu diesen Schriften irgendeine Ahnung von Ethik zu haben. In diesem Sinne hätten nur Gläubige der wahren Religion eine Basis für ihre Moral; während die anderen, insbesondere die Konfessionslosen, in der Unwissenheit schwimmen würden, im besten Fall von den Gläubigen beeinflusst seien; und ohne diese Religion würde die Menschen in die Anarchie sinken.

Doch erweisen sich die Konfessionslosen als weit entfernt von diesem Bild ethiklosen Inviduen, die nur von ihrer Gier gelenkt seien, und eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen würden. Sie umfassen ganz unterschiedliche Arten von Menschen, sowohl wahre Egoisten als auch Leute, die vorteilhaft von vielen Gläubigen als Beispiel genommen werden könnten. Religiosität und Moralität sind zwei verschiedene Parameter, und bei einem Menschen sagt der eine nichts über den anderen aus.

Eigentlich besitzen Konfessionslosen eine Ethik, die aber auf einer anderen Weise als bei religiösen Leuten definiert wird. Als Menschen haben wir eine natürliche Intuition, die uns insbesondere sagt, dass wir jedem andere tun sollen, was wir wollen, das er uns tut (das ist die sogenannte „Goldene Regel“, und wir werden sehen, woher diese Intuition eigentlich kommt). Wir könne einigermaßen die Auswirkungen unserer Taten vorhersehen. Wir haben ebenso eine natürliche Ahnung der Justiz, die auf unserer Vernunft beruht. Die areligiöse Moral ist ein gesellschaftliches Konsens, der auf der Vernunft und dem Prinzip der goldenen Regel basiert. Sie ist weder absolut noch vollkommen, und enthält sowohl eindeutige Punkte, als auch Elemente, die es weniger sind (was der Debatte und dem Fortschritt Raum lässt).

Für viele Gläubigen wird in der Theorie die Moral durch den Inhalt von einem oder mehreren für heilig gehaltenen Bücher eindeutig definiert, ganz egal, ob er mit unserer Vernunft übereinstimmt oder nicht. Wenn dieses Prinzip wirklich angewendet wird, kann es zu Katastrophen führen. Zum Beispiel wird im Alten Testament befohlen, Homosexuellen mit dem Tod zu bestrafen (3. Mose 20:13). Das gleiche gilt beispielsweise auch für Frauen, für die man während der Hochzeitsnacht gemerkt hat, dass sie keine Jungfrauen mehr waren (5. Mose 22:13-21). Das Neue Testament ist weniger krass, da wird Homosexualität immer noch als eine Perversion angesehen, und harte Worte werden Homosexuellen gegenüber verwendet (Römer 1:26-27, 1. Korinther 6:9), doch mindestens geht es da nicht mehr um Hinrichtung (was allerdings vielleicht nur daran liegt, dass die ersten Christen nie an der Macht waren). Link zu einer Seite mit diesen Bibelstellen über Homosexualität und bei der Hochzeit nicht-jungfräuliche Frauen. Heutzutage schockieren solche Vorschriften unsere Vernunft. Aber theoretisch wird ein Gläubige, der die Absolutheit dieser Texte anerkennt, meinen: „Ja, das schockiert mich, aber ich soll nicht den Zeitgeist oder meine Vernunft über Gottes Wort stellen; der Zeitgeist ändert sich mit der Mode und ist daher kein vertraulicher Maßstab, wenn es darauf ankommt, zu wissen, was gut oder nicht gut ist; man kann nicht das Gute und das Böse außerhalb von Gottes Wort definieren, also halten wir uns an Gott“. Anderes Beispiel: in der Sunna wird verlangt, dass Ex-Muslime, die aus dem Glauben ausgefallen sind, umgebracht werden. Von außen gesehen ist das eine Abscheulichkeit, aber für jemand, der die Authentizität dieses Textes anerkennt, gibt es nicht zu zögern, wenn Gott das will. Sowohl evangelikale Christen als auch orthodoxe Muslime glauben, dass die jenigen, die sterben, ohne „den richtigen Glauben“ (das heißt: ausschließlich ihren Glauben) angenommen zu haben, obwohl sie diesen gekannt hatten, ewig in der Hölle bestraft werden. Heute lässt uns unsere Vernunft das unmoralisch, sadistisch, absurd und primitiv finden. Aber wenn man glaubt, dass das Buch, das das behauptet, die Definition aller Moral ist, wird das trivialerweise moralisch und gerecht. Das gleiche gilt beispielweise für das angebliche vorbildliche Leben Mohammeds. Andere schockierende Vorschriften in der Bibel : der Rassismus im alten Testament, oder andere unakzeptable bzw. lächerliche Bibelstellen, und im orthodoxen Islam: der heilige Krieg im orthodoxen Islam, die Frauen in den islamischen Quellen, die Pflicht, in einem islamischen Land zu leben, orthodoxer Islam und Musikverbot. Insbesondere im Islam gibt es auch eine ganze Reihe von Vorschriften, die keine praktische Brauchbarkeit haben, und das Leben des einzelnen bis in die kleinsten Details regieren: Beispiele (auf Französisch, Punkt 4, "L'islam au quotidien").

Das Problem ist, dass die Wahrheit dieser Religionen keine erwiesene Tatsache ist. Erstens gibt es keine Einheit von dem, was man als „göttliche Moral“ versteht, da eigentlich mehrere widersprüchliche Religionen behaupten, im Namen Gottes zu reden, und all diese Religionen selbst in kleine sehr verschiedene Strömungen geteilt sind. Weiter können Sie sich bei anderen Artikeln dieser Website eine Idee insbesondere von der Glaubwürdigkeit der Bibel, des Korans und die Sunna machen. Wenn ein Buch befiehlt, schreckliche Taten zu begehen, wenn darüber hinaus die Bevölkerung sie trotz ihres natürlichen Missfallens begeht, weil der Glaube, dieses Buch sei die Wahrheit von Gott und definiere absolut die Moral, verankert ist, obwohl das nicht stimmt, dann ist das eine Tragödie. Zur Stelle des Alten Testaments über die Steinigung der Frauen, die in der Hochzeitsnacht nicht geblutet haben : ein erstes Problem besteht darin, dass ein nicht vernachlässigbarer Anteil der Frauen beim ersten Sex nicht blutet. Von daher ist die Abwesenheit von Blut kein Beweis dafür, dass die Frau davor außerehelichen Sex hatte. Es gibt dazu einen Logikfehler: wenn die Unschuld der neu geheirateten Frau nicht bewiesen werden kann, wird die Frau abgerundet schuldig erklärt. Wenn die Justiz heute so funktionieren würde, wäre das eine Katastrophe. Stattdessen gilt vor Gericht der Angeklagte als unschuldig, solange seine Schuld nicht erwiesen wurde. Diese beiden Fehler verbieten im Übrigen das traditionelle Argument, dass die Menschen früher anders waren, und dieses Gesetz im damaligen Kontext richtig sein konnte, auch wenn es uns heute stört. Und warum der der Tatsache so eine krankhafte Bedeutung verleihen, ob die Frau vor der Ehe niemals Sex hatte? Hatte Gott nicht viel wichtigere Sachen zu sagen, um „das Übel aus Israel zu verbannen“? Zur Homosexualität: erstens, inwiefern schadet ein Homosexuell der Gesellschaft, warum wäre diese minoritäre sexuelle Neigung so gefährlich? Zweitens hat kein Schwule seine Orientierung gewählt. Drittens gibt es heute viele Elemente, die auf eine biologische Ursache hindeuten, die auf hormonale Vorgänge vor der Geburt zurückzuführend ist (Link). Zum Zeitpunkt, als das Geschlecht des Gehirnes bestimmt wird (wobei der Körper schon geformt ist) müssen die entscheidenden Hormone (Testosteron, Östrogen) in den guten Massen vorhanden sein. Sonst kann es dazu führen, dass das Geschlecht des Gehirnes lebenslang nicht das selbe ist wie vom Körper. Experimente wurden auf Tieren gemacht, wo Anomalien in den Hormonenmengen, die natürlich stattfinden können, künstlich erzeugt wurden (ein männliches Tier mit zu viel Östrogen zum entscheidenden Zeitpunkt oder umgekehrt), und das Tier verhielt sich dann in seiner erwachsenen Zeit, als hätte er das andere Geschlecht. Die Behauptung, Homosexualität sei eine Sünde, erweist sich offenbar als falsch.

Das ist eine gute Darstellung, welche katastrophale Effekte die „gläubige“ Art, Moral zu definieren, haben kann. Glauben, dass ein Buch das perfekte Wort Gottes ist, und ihm ständig recht geben, um zu wissen was gut oder schlecht ist, egal was unsere Vernunft dazu sagt, ist ein gefährliches Verhalten. Wenn es erwiesen wäre, dass ein Gott tatsächlich dies oder das gesagt hat, würde es total anders aussehen, aber das ist nie der Fall. Wie man sieht, liegt es an uns zu überlegen, was ethisch oder nicht ist. Wenn wir in der Wirklichkeit alle (Gläubige wie nicht-Gläubige) nichts anderes als menschlichen ethischen Richtlinien folgen, dann können das Bewusstsein davon, sowie die Anerkennung der unvollkommenen Natur dieser Moral, und derer Unterordnung der Vernunft, nur ein Vorteil sein gegenüber der Illusion, eine göttliche und perfekte Moral zu besitzen, die nicht in Frage gestellt wird. Der Fehler der Religionen besteht darin, rein menschliche und uralte (aus Zeiten, wo der Mensch noch weniger klug als heute war und viel weniger Kenntnisse hatte) Meinungen für Gottes unfehlbares und endgültiges Wort zu verkaufen. Auf derselben Weise wird sich die Moral in der Zukunft weiter entwickeln, und manche aktuelle Punkte werden selbst irgendwann nicht mehr gültig sein. Allerdings definieren zum Glück die meisten Gläubigen ihre Moral auf derselben Weise wie die Ungläubigen, dann projizieren sie aber ihre Werte auf ihren Gott, und sie sind davon überzeugt, dass diese Werte von ihrer „Beziehung“ zu diesem Gott kommen würden.

Wenn es möglich ist, eine Moral ohne Religion zu definieren, welchen Grund gibt es dann, dieser Moral zu folgen? Woher kommt die natürliche Intuition der goldenen Regel und unsere Veranlagung, uns daran zu halten? An dieser Stelle würden viele Deisten die natürliche Religion erwähnen, die Gott in uns graviert hätten, verschieden von den vorhandenen Religionen. Diese Leute glauben oft, dass jeder für seine Taten beurteilt werden wird, aber nach Kriterien, die vom ihrem eigenen Bewusstsein abgeleitet werden, statt den Kriterien der Religionen. Aber ich glaube nicht mehr an Gott, und auch nicht mehr an ein ursprüngliches Prinzip, das das Universum erzeugt, und ein Gutes und ein Böses definiert hätte. Die Natur ist offenbar amoralisch (siehe diesen Artikel), aber… Ich denke, dass moralisches Verhalten zu unseren evolutionären Erbe gehört. Insbesondere ist das Gefühl der Empathie ein Vorteil für das Überleben der Gruppe (also ein Vorteil im Rahmen der natürlichen Auswahl). Und dieses Gefühl bringt uns dazu, das beste sowohl für sich selbst, als auch für die anderen zu wollen. Studien haben gezeigt, dass der ethische Grad einer Person mit seiner Fähigkeit, Emotionen zu empfinden, korreliert ist. Es ist für das Individuum auf lange Sicht gewinnbringender, sich kooperativ nach dem Fairnessprinzip zu verhalten und andere Menschen so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Die natürliche Auswahl hätte also zur Entstehung der Moral aus einem amoralischen System geführt, wie sie zur Entstehung des bewussten Lebens geführt in einem allein stehenden Universum, das blinden physischen Gesetzen ausgesetzt, und von keiner bewussten Entität in eine gezielte Richtung gelenkt wäre. So hätten die Menschen (wie auch viele Tiere) schon eine natürliche Veranlagung, einer Moral zu folgen. Ein Teil dieser Veranlagung könnte genetisch, der andere Teil memetisch sein (Erziehung, Erfahrung).

Im alltäglichen Leben kommt es manchmal dazu, dass ich für eine bestimmte Menge Geld verantwortlich bin, und ich die Möglichkeit hätte, mich zu „bedienen“, ohne dass es gemerkt wird. Aus Prinzip tue ich das nicht. Ich versuche ehrlich und fair zu sein. Ich fühle mich mir gegenüber verantwortlich, aber ich erwarte weder Belohnung noch Strafe im Jenseits (keine Möhre und kein Stock, keine auf einem Kräfte-Verhältnis zu einem Gott basierende Gehorsamkeit). In meinem professionellen Leben werde ich die Möglichkeit haben, in verschiedenen Ländern zu arbeiten. Meine Wahl wird von mehreren, insbesondere emotionalen Faktoren abhängen. Aber ein wichtiges Kriterium wird auch das Niveau der Steuern sein: ich möchte im Land wohnen, wo ich am meisten Steuern zahle (in der Tat!). Während meines Studiums konnte ich selbst jahrelang ein Stipendium aus soziallen Gründen genießen, dank des französischen Systems, das von außen als kommunistartig bezeichnet wird. Ohne das wäre mein Erfolg trotz meiner extremen Motivation wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Ich habe die Bedingungen gesehen, in denen die Studenten waren, die dieses Glück nicht hatten, sowie die unmenschlichen Situationen, wo das führen konnte, derer Gedanken mir unerträglich sind (insbesondere im deutschen Universitätssystem, wo ein Durchfall zu viel in einem einzigen Fach selbst ganz am Ende des Studiums alle vorherig erledigten Anstrengungen und Erfolge zunichtemacht, mit der lebenslangen Unmöglichkeit, es noch mal zu versuchen). In diesen Bedingungen wäre es unmoralisch, wenn ich sagen würde: „Jetzt habe ich das Diplom, Schleiß auf die anderen, ich werde nun dafür sorgen, so wenige Steuern wie möglich zu zahlen, mit diesem Ziel in dieses Land emigrieren, und diese Partei wählen“.

Warum handele ich so? Das liegt an meiner Erziehung. Ich bin irgendwie dafür programmiert. Man könnte zwar sagen, dass ich nicht sehr repräsentativ für einen Atheisten bin, da ich in einer Familie von „wieder geborenen“ Christen aufgewachsen bin. Aber die Tatsache, dass sich mein Verhalten in diesem Bereich nicht verändert hat, obwohl ich nicht mehr an Gott glaube, zeigt, dass weder der Glaube an Gott, noch ein bestimmter Glaube, noch irgendeine „Beziehung zu Gott“ ist, die ein moralisches Verhalten verursachen. Sondern die Erziehung reicht dafür aus. Es gibt hingegen Punkte der christlichen Moral, auf die ich durch meine Vernunft verzichtet habe, weil ich nicht die Gerechtfertigung dafür sah. Zum Beispiel flirten oder Liebe machen, ohne verheiratet zu sein, oder sogar mit anderen Leuten als dem Partner, unter der Bedingung, dass dieser Bescheid weiß und einverstanden ist (im anderen Fall, wenn man den Partner täuscht, wird das ethisch unakzeptabel). Dann soll man aber das gleiche von seinem Partner akzeptieren. Auch denke ich, dass eine Liebensbeziehung im allgemeinen Fall nicht das Ziel haben sollte, das ganze Leben zu dauern, und das Eigentum sollte nicht gemeinsam sein. Die Erziehung ist eine Übertragung der Meme zur neuen Generation, und diese Meme werden dann das Verhalten von dieser Generation bestimmen.

Als Gesellschaft können wir durch die Vernunft die erwünschten und unerwünschten Verhalten bestimmen, und die Erziehung der Kinder absichtlich so anzustellen, dass wir nach den von uns gewählten Normen moralische Individuen bilden. Eine Arbeit in dieser Hinsicht soll auch von allen, die die Nützlichkeit davon einsehen, mit Erwachsenen gemacht werden, da die Memen sich das ganze Leben lang durch Einfluss und Überzeugung verbreiten, im Gegensatz zu den Genen, die für das ganze Leben festgesetzt sind. So sollten wir eine Gesellschaft von Leuten haben, die global auf Ethik basieren, auf rationaler Ethik.