Schwierigkeiten in der „Prophezeiung“ von Hesekiel zu der Zerstörung von Tyrus und Unehrlichkeit von J. McDowell und anderen Bibelapologeten zu diesem Thema


Lesen wir zuerst den Text der „Prophezeiung“. Hesekiel 26:

1 Und es begab sich im elften Jahr am ersten Tage des ersten Monats, da geschah des HERRN Wort zu mir: 2 Du Menschenkind, weil Tyrus spricht über Jerusalem: «Ha! die Pforte der Völker ist zerbrochen; nun fällt es mir zu; ich werde jetzt reich werden, weil Jerusalem wüst liegt!», 3 darum spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an dich, Tyrus, und will viele Völker gegen dich heraufführen, wie das Meer seine Wellen heraufführt. 4 Die sollen die Mauern von Tyrus zerstören und seine Türme abbrechen; ja, ich will sogar seine Erde von ihm wegfegen und will einen nackten Fels aus ihm machen, 5 einen Platz im Meer, an dem man Fischnetze aufspannt; denn ich habe es geredet, spricht Gott der HERR, und es soll den Völkern zum Raub werden. 6 Und seine Tochterstädte auf dem Festland sollen mit dem Schwert geschlagen werden, und sie sollen erfahren, daß ich der HERR bin.
7 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will über Tyrus kommen lassen Nebukadnezar, den König von Babel, von Norden her, den König der Könige, mit Rossen, Wagen, Reitern und einem großen Heer. 8 Der soll deine Tochterstädte auf dem Festland mit dem Schwert schlagen; aber gegen dich wird er Bollwerke errichten und einen Wall gegen dich aufschütten und ein Schilddach gegen dich erstellen. 9 Er wird mit Sturmböcken deine Mauern umstoßen und deine Türme mit seinen Werkzeugen einreißen. 10 Von der Menge seiner Pferde wird Staub dich bedecken. Deine Mauern werden erbeben von dem Getümmel seiner Rosse, Wagen und Reiter, wenn er in deine Tore eindringt, wie man eindringt in eine erstürmte Stadt. 11 Er wird mit den Hufen seiner Rosse alle deine Gassen zerstampfen. Dein Volk wird er mit dem Schwert erschlagen und deine stolzen Steinmale zu Boden reißen. 12 Sie werden deine Schätze rauben und deine Handelsgüter plündern. Deine Mauern werden sie abbrechen und deine schönen Häuser einreißen und werden deine Steine und die Balken und den Schutt ins Meer werfen. 13 Und ich will dem Getön deiner Lieder ein Ende machen, und den Klang deiner Harfen soll man nicht mehr hören. 14 Und ich will einen nackten Fels aus dir machen, einen Platz, an dem man Fischnetze aufspannt, und du sollst nicht wieder gebaut werden. Denn ich bin der HERR, der dies redet, spricht Gott der HERR.
15 So spricht Gott der HERR gegen Tyrus: Was gilt's? Die Inseln werden erbeben, wenn du fallen wirst mit Getöse und deine Verwundeten stöhnen werden und das Schwert morden wird in deiner Mitte. 16 Alle Fürsten am Meer werden von ihren Thronen herabsteigen und ihre Oberkleider ablegen und ihre bunten Gewänder ausziehen und werden in Trauerkleidern gehen und auf der Erde sitzen und immer von neuem erzittern und sich entsetzen über dich. 17 Sie werden über dich ein Klagelied anstimmen und von dir sagen: Ach, wie bist du zugrunde gegangen, du berühmte Stadt, die du am Meer lagst und so mächtig warst auf dem Meer samt deinen Einwohnern, daß sich das ganze Land vor dir fürchten mußte! 18 Nun entsetzen sich die Inseln am Tag deines Falls, und die Inseln im Meer erschrecken über deinen Untergang. 19 Denn so spricht Gott der HERR: Ich will dich zu einer verödeten Stadt machen gleich den Städten, in denen niemand wohnt, und will eine große Flut über dich kommen lassen, daß hohe Wogen dich bedecken, 20 und will dich hinunterstoßen zu denen, die in die Grube gefahren sind, zu dem Volk der Vorzeit. Ich will dich wohnen lassen in den Tiefen unter der Erde zwischen den Trümmern der Vorzeit bei denen, die in die Grube gefahren sind, daß du keine Wohnung und keine Stätte mehr hast im Lande der Lebendigen; 21 ja, tödlichem Schrecken gebe ich dich preis, daß es aus ist mit dir und man dich nie mehr findet, wenn man nach dir sucht, spricht Gott der HERR.


Quelle: http://www.bibel-online.net/buch/26.hesekiel/26.html

Andere Übersetzungen können Sie hier finden: http://www.bibleserver.com/


In der Tat wurde Tyrus von Nebukadnezar belagert. Tyrus bestand damals aus zwei einzelnen Vierteln: einem (dem Hauptviertel) auf einer Insel und dem anderen (den „Vororten“) auf dem Festland. Die Belagerung dauerte 13 Jahre. Kurz vor dem Fall des Festland-Teils der Stadt flüchteten ihre Bewohner in den Insel-Teil und nahmen dabei ihr gesamtes Hab und Gut mit. Nebukadnezar drang in den Festland-Teil ein (der fast leer war, so dass er die Stadt nicht plündern konnte). Später handelten die Bewohner von Tyrus ihren Status aus und sie erkannten die babylonische Herrschaft an. Diesmal wurde der Insel6teil der Stadt nicht zerstört. Wir haben hier ein erstes Problem. Die Prophezeiung scheint sich nicht erfüllt zu haben, da Nebukadnezar es nicht geschafft hat, den Insel-Teil (Hauptteil) von Tyrus zu erobern. Hesekiel gibt es zu (siehe Hesekiel 29:17-20 und diesen anderen Artikel) und verspricht Nebukadnezar im Namen Gottes, dass er Ägypten als Entschädigung erobern und plündern können wird.

Josh Mac Dowell ist daran gewöhnt, die selbe Methode wie viele Theologen oder auch wie die Autoren der Evangelien zu verwenden: er zerlegt die „prophetischen“ Texte in beliebig viele Einzelprophezeiungen, die angeblich nichts miteinander zu tun haben. Dabei kann sogar ein Komma als Trennung zwischen zwei „Prophezeiungen“ dienen. So kann man allen Einzelprophezeiungen nachträglich den Sinn geben, die man will, sie auch mit verschiedenen Ereignissen verbinden, die erst viele Jahrhunderte später stattgefunden haben, obwohl sie angesichts der Erzählung offensichtlich alle zur selben „Prophezeiung“ gehören, und zwar von einem Ereignis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten musste, der aber nicht stattgefunden hat (nicht erfüllte „Prophezeiung“). Dieser Bibelapologet ist in diesem Fall der Meinung, dass nur ein Teil der „Prophezeiung“ sich auf Nebukadnezars Angriff beziehe, alle anderen (der Fall und die Plünderung des Hauptteils von Tyrus) hätten sich erst durch die Angriffe der nächsten Jahrhunderte (Alexander der Große, etc.) erfüllt. Das ist aus der Erzählung nicht offensichtlich. Jemand, der Hesekiel 26 zum ersten Mal liest, würde nie auf die Idee kommen, dass der größte Teil der Prophezeiung eigentlich nichts mit Nebukadnezars Angriff zu tun hat. Zwar sagt der 3. Vers „Ich [...] will viele Völker gegen dich heraufführen, wie das Meer seine Wellen heraufführt“. Aber im 7. Vers heißt es in vielen Übersetzungen (insbesondere auf Französisch) etwas wie „ich will über Tyrus kommen lassen Nebukadnezar, den König von Babel, von Norden her, den König der Könige, mit Rossen, Wagen, Reitern und einer Menge Völker“ statt „und einem großen Heer“, was darauf hindeutet, dass es sich bei den „vielen Völkern“ wahrscheinlich um Nebukadnezars Armee handeln soll. Denn Babylon war ein Reich, zu dem viele Nationen gehörten. Außerdem droht Hesekiel dem König von Tyrus in Hesekiel 28. Er verkündet ihm, dass Gott ihm „die Gewalttätigsten unter den Völkern“ schicken wird und diese ihn töten werden. Es kann sich also nicht um die Eroberung von Alexander dem Großen oder noch spätere handeln, weil der König von Tyrus nicht mehr der selbe war wie zur Zeit von Hesekiel und Nebukadnezar. Nach Informationen, die ich zu diesem Thema gelesen habe, sei der damalige König, Ithobaal III, übrigens nicht bei der Belagerung von Nebukadnezar umgebracht worden, im Gegensatz zur Prophezeiung Hesekiels.

Hesekiel 28:6-8

6 darum spricht Gott der HERR: Weil sich dein Herz überhebt, als wäre es eines Gottes Herz, 7 darum siehe, ich will Fremde über dich schicken, die Gewalttätigsten unter den Völkern; die sollen ihr Schwert zücken gegen deine schöne Weisheit und sollen deinen Glanz entweihen. 8 Sie sollen dich hinunterstoßen in die Grube, daß du den Tod eines Erschlagenen sterbest mitten auf dem Meer.

Noch ein dritter Grund, warum Josh McDowells Interpretation problematisch ist, ist der eigentliche Grund, warum Tyrus angeblich zerstört werden musste. Der König von Juda hatte sich gegen die babylonische Herrschaft aufgelehnt, er war von Nebukadnezar besiegt worden, und Jerusalem war zerstört worden. Manche Händler von Tyrus hatten sich gefreut, denn sie würden von nun an ein wirtschaftliches Monopol in der Region genießen. Das ist der Grund, warum Gott entschieden habe, die Stadt Tyrus für immer zu zerstören. Wegen einer Geschichte von kommerzieller Eifersucht... Doch nach dem Alten Testament hätten die Israeliten viel schlimmeres getan, als sich nur aus wirtschaftlichen Gründen über das Unglück der anderen zu freuen, wobei sie angeblich die Befehle ihres Gottes befolgten, siehe diesen anderen Artikel und die dort erwähnten Artikel.

Im Vergleich zum Horror von Jawehs Befehlen bezüglich den anderen Völkern und sogar bezüglich den Israeliten selbst erscheint die Tatsache, dass ein paar Händler sich über das Unglück von Jerusalem gefreut haben (weil sie dadurch einen kommerziellen Monopol genießen würden) als eine winzige Kleinigkeit. Die Zerstörung von Tyrus ist unmoralisch, Hesekiel lässt einen voreingenommenen und ungerechten Gott sprechen. Aber das Problem wird noch schlimmer, wenn die Stadt erst mit Alexander dem Großen oder sogar noch später zerstört wurde (nach manchen Apologeten habe die „endgültige Zerstörung“ von Tyrus im XIII. Jahrhundert nach Christus stattgefunden). Während Nebukadnezars Belagerung flüchteten die Bewohner des Festland-Teils von Tyrus nämlich in den Insel-Teil und sie konnten am Leben bleiben. Die „Schuldigen“ wurden nicht bestraft, sie haben nicht viel verloren. Aber ihretwegen sollte Gott Jahrhunderte lang immer wieder Zerstörungen und Massaker in Tyrus verursachen, bis die Stadt komplett und definitiv zerstört wird? Stört das Josh McDowell nicht moralisch?

Es ist nicht auszuschließen, dass die Prophezeiung Hesekiels einen doppelten Sinn hat, und dass Josh McDowells Interpretation auch möglich ist. Schließlich kann dieser „Prophet“ ein bisschen wie die griechischen Orakeln vorgegangen sein, in dem er absichtlich zweideutig war, um die Prophezeiung im Falle eines Scheiterns neu interpretieren zu können. Was aber bemerkenswert ist: auch wenn das nicht der Fall ist, wenn Hesekiel an keinen „Plan B“ gedacht hat, damit seine „Prophezeiung“ sich sowieso erfüllte, auch wenn nicht alles wie geplant lief, verfügen Theologen durch ihre Methode der beliebigen nachträglichen Zerlegung um eine Methodik, die immer den Schluss ermöglicht, dass wir hier eine erfüllte Prophezeiung haben, wie ich es schon erklärt habe.

Ein letztes Problem mit der „Prophezeiung“ zur Zerstörung von Tyrus besteht darin, dass nach Hesekiel die Stadt nie hätte wieder gebaut werden sollen. Es ist strittig zu sagen, dass dies geschehen ist. Eine Stadt mit dem Namen Tyrus wurde zum Beispiel in Matthäus Evangelium erwähnt (und sie existiert heute noch). Folgende Erklärungen dienen zur Behebung dieser Schwierigkeit. Entweder beziehe sich die Prophezeiung Hesekiels auf nur einen Teil der Stadt (den Insel-Teil), obwohl der Text diese Information nicht enthält, oder liege die moderne Stadt Tyrus nicht genau auf den Ruinen der antiken Stadt (sie liegt am Meer auf dem Festland, neben den Ruinen der antiken Stadt, die man besuchen kann). Ich habe auch schon gehört, dass diese „Prophezeiung“ sich noch nicht komplett erfüllt habe, und dass die Stadt Tyrus in Zukunft diesmal definitiv zerstört werde (diesmal nie wieder aufgebaut). Jaweh ist unglaublich wütend nur wegen dieser Geschichte von kommerzieller Eifersucht!

Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung von Josh McDowell habe diese „Prophezeiung“ eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 7.5e7 gehabt, sich zufällig zu erfüllen, was ein Beweis für eine göttliche Herkunft sei. Wegen der oben erwähnten Gründe (die insbesondere mit der Methodik zu tun haben) lag diese Wahrscheinlichkeit eigentlich bei 1. Dabei haben wir die sehr gewagte Interpretation mancher Bibelapologeten angenommen, ohne die wir eigentlich eine gescheiterte Prophezeiung haben.