Schwierigkeiten mit dem Argument der erfüllten Prophezeiungen


Die Erfüllung von Prophezeiungen („Vorhersagen“) der Bibel ist ein von evangelikalen Christen häufig verwendetes Argument. Es sei der Beweis, dass die Bibel einen göttlichen Ursprung habe, dass sie „Gottes Wort“ sei, da solche Zukunftsvorhersagen menschlich unmöglich seien. Die „Prophezeiungen“ der Bibel werden in zwei Gruppen geteilt: die „messianischen“ Prophezeiungen (die Jesus Kommen und Details seines Lebens vorhersagen sollen) und die „nicht messianischen“ Prophezeiungen (die sich auf alles andere beziehen). In diesem Artikel will ich die Liste der zu einhaltenden Prinzipien machen, wenn man herausfinden will, ob eine so genannte Prophezeiung tatsächlich ein Beweis für die übernatürliche Herkunft eines Buches ist. Ich will auch zeigen, welche intellektuellen Fehler im Falle der Bibel begangen werden, um zum Schluss zu kommen, dass dieses Buch erfüllte Prophezeiungen enthalten würde, die seinen göttlichen Ursprung beweisen würden, und sogar die Unehrlichkeit mancher Bibelapologeten. Schließlich gebe ich als Beispiel zwei nicht messianische Prophezeiungen (Zerstörungen von Tyrus und von Ägypten in Hesekiel), die triumphierend von manchen Apologeten erwähnt werden. Beispiele von messianischen „Prophezeiungen“ finden Sie hier.

Kriterien, um über eine Prophezeiung zu urteilen

Man soll sich zuerst fragen, ob fest steht, dass die Prophezeiung vor den vorhergesagten Ereignissen geschrieben wurde. Wenn das nicht der Fall ist, kann man nicht ausschließen, dass es sich um eine Täuschung handelt (Prophezeiung nach der „Erfüllung“ geschrieben), und so eine Prophezeiung beweist nichts. Dieser Punkt ist ein Problem zum Beispiel für die biblischen Prophezeiungen von Daniel. Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die Beweislast sich auf der Seite derer befindet, die behaupten, dass wir eine „durch ein Wunder erfüllte Prophezeiung“ haben. Wenn schon eine andere Erklärung nur möglich ist, ist diese Behauptung widerlegt.

Man soll sich auch fragen, ob das vorhergesagte Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Eine andere Art von Täuschung kann darin bestehen, in einem später selbst als göttlich betrachteten Text zu schreiben, dass irgendein Ereignis stattgefunden hat, obwohl das nicht stimmt oder der Autor nichts davon weiß, nur weil Prophezeiungen dieses Ereignis vorhersehen und es theologisch notwendig war, zu behaupten, dass dieses Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Dieser Punkt ist ein Problem zum Beispiel für die biblischen Prophezeiungen zu weniger gut bekannten Perioden von Jesus Leben in seiner Biographie (Geburt und Zeit danach).

Man soll sich auch fragen, ob es nicht möglich war, dass eine Menschengruppe absichtlich handelt, damit die Prophezeiung in Erfüllung geht. Oder ob die Prophezeiung klar genug ist, so dass man sie nicht in fast jedem Fall a posteriori neu interpretieren kann, damit man sowieso zur Erfüllung der Prophezeiung schließen kann. Man soll sich ebenfalls fragen, ob die Wahrscheinlichkeit, dass die Prophezeiung sich erfüllt, nicht hoch ist, wenn man lange genug dafür wartet. Es gibt sogar apologetische Methoden, die es ermöglichen, für fast alle Prophezeiungen auf diese beiden letzten Fälle hinauszulaufen (auch wenn sie sehr klar sind und eine sehr niedrige Wahrscheinlichkeit haben, sich zufällig zu erfüllen).

Bibelapologeten verwenden oft die Methode der „Prophezeiungszerlegung“: es geht darum, nachträglich Prophezeiungen (oder irgendwelche Texte aus der Bibel) willkürlich (manchmal sogar bei einem Komma) zu zerlegen, um neue kleine Prophezeiungen ohne Kontext zu erhalten, die nichts mehr damit zu tun haben, was der Autor meinte. Diese kleinen Prophezeiungen sind weniger klar und haben in der Regel eine Erfüllungswahrscheinlichkeit von 1, wenn man lange genug wartet (mehrere Jahrhunderte oder Jahrtausende), wobei es immer möglich ist, im schlimmsten Fall zu behaupten, dass die Prophezeiung sich „noch nicht erfüllt hat“ (also durch diese fehlerhafte Methode ist die Bibel entweder „bewiesen“ oder „nicht widerlegt“). Bei diesen kleinen Prophezeiungen handelt es sich meistens um Zerstörungen, Massaker, Blutbäder der schlimmsten Art (dem Gott des Alten Testaments sind Frieden und Liebe besonders wichtig). Jede Stadt, jede Zivilisation, wird irgendwann zerstört bzw. verschwindet, wenn man lange genug wartet. Die schlimmsten Ereignisse finden irgendwann statt. Darüber hinaus waren Massaker bei Eroberungen häufig während der Antike. Mit dieser Methode kann man sehr viele „erfüllte Prophezeiungen“ sehen, wo wir eigentlich eine nicht erfüllte Prophezeiung hatten.

Josh McDowell und Werner Gitt ordnen jeder dieser kleinen Prophezeiungen eine Wahrscheinlichkeit von 1/2 zu, sich zufällig zu erfüllen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine große Prophezeiung sich zufällig erfüllt, ist dann gleich 1/2 hoch der Anzahl der kleinen Prophezeiungen, die die große enthält. Man erhält eine winzige Zahl (zum Beispiel 0.0000001), was von diesen Autoren als zu niedrig vorgestellt wird, um menschlich erklärt zu werden (so müsse der Text von Gott kommen). Um die Wahrscheinlichkeit herauszufinden, dass alle Prophezeiungen der Bibel sich zufällig erfüllten, multiplizieren diese beiden Autoren die winzigen Wahrscheinlichkeiten aller großen Prophezeiungen miteinander, was eine so kleine Zahl ergibt, dass man sie sich nicht vorstellen kann. Mit dieser unehrlichen Methode kann man fast jede kleine Prophezeiung mit einem innerhalb der letzten 2000 Jahre (oder viel mehr) stattgefundenen Ereignisse verbinden, und wenn das nicht der Fall ist, kann man von „noch nicht erfüllter Prophezeiung“ sprechen, und diese wird bloß in der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht berücksichtigt, ohne dass Konsequenten für die Bibel entstehen.

Es ist dabei tragisch, dass diese Apologeten ein quasi Monopol bei der Verbreitung der Argumente genießen. Die sehr wenigen Leute, die sich die Mühe geben, darauf zu antworten, sind kaum hörbar. So konnte ich bei Missionierungsstands erleben (wo Bücher dieser Apologeten kostenlos verteilt wurden), dass den interessierten Leuten etwas gesagt wurde wie: „Nehmen Sie dieses Buch. Der Autor, Josh McDowell, war früher Atheist. Er hat eine lange Untersuchung gemacht, mit dem Ziel, dem Christentum zu widerlegen. Doch seine Ergebnisse führten ihn umgekehrt zum christlichen Glauben“. Josh McDowell, der Apologet, der dem Internet vorwirft, die Argumente der Atheisten und der Skeptiker verfügbar für die Kinder von Christen zu machen, obwohl diese natürlich nur das hören sollten, was ihnen ihre Eltern zum Thema sagen: siehe diesen Artikel.

Hier sind zwei Beispiele von messianischen Prophezeiungen, um das zu verdeutlichen:

Hesekiels „Prophezeiung“ zur Eroberung Ägyptens von Nebukadnezar

Hesekiels „Prophezeiung“ zur Zerstörung von Tyrus



Mehr Widerlegung von Josh McDowell finden Sie auf der Website infidels.org.